Samstag, 26. November 2011

Schmerzpatient



Aufstehn! Ein simpler Vorgang will man meinen. Doch im Fall des Fallens ist es nicht das Wort an dem’s gebricht.  Es reicht ein kleiner Schritt. Ein Trippeltritt. Nicht für die Menschheit. Nur für mich. Zählen die Glieder heute doppelt.

Aufprall! Ein starkes Stück vom Boden nähert sich in Schallgeschwindigkeit.
Aufprall! Ein spitzer Schrei und dann verschmelzen Schmerz und Zorn in Einigkeit.
Aufprall! Wie schnell der Mensch sein bisschen Würde auf dem Laminat verteilt.
Aufprall! Wie unverdient wenn mich das Schicksal auch noch derart früh ereilt.

Aufstehn! Recht ungelenk will es mir scheinen. So im Mittel meines Dramas ist das Leben kaum gefällig. Von unten rum betrachtet sogar äußerst ekelhaft, das Ding. Die Haltung ist dahin. Nicht für den Humanismus. Doch für mich. Zählt das Versagen heute doppelt.

© Sybille Lengauer


Freitag, 18. November 2011

Wanderung mit Hund



Wir ziehen still durch eine langsam ergrauende Landschaft. Seite an Seite rascheln wir durch den tiefen Blätterteppich. Die Nasen voll Herbst üben wir uns in sanfter Harmonie. Über uns ist die Hölle los, die letzten Vogelschwärme sammeln sich. Brechen auf zu ihrer Reise in den Süden. Du schaust ihnen hinterher, als könntest du irgendetwas daran ändern. Ändert aber nichts. Der Winter kommt. Aber nicht jetzt.

Starkstrommasten singen in den Strahlen der untergehenden Sonne.  Singen zirpende, summende Lieder reiner Energie. Ragen stahlstarr in den dunkler werdenden Himmel. Wirken so, als wollten sie abheben. Zu einer eigenen Reise aufbrechen. Nicht unbedingt in den Süden. Dafür  vielleicht ins All. Ich schaue weit über abgeerntete Felder. Nach dreißig Jahren bin ich dessen immer noch nicht überdrüssig. Der unendliche Himmel, keilförmig von unzähligen Gänsen zerflogen. Treibende Wolkenfetzen. Zu Boden treibendes Laub. Erkahlende Bäume. Zu meinen Füßen raschelt kleines Leben. Es weiß, der Winter kommt. 

Dieser Geruch. Voll, satt, weich. Süß und herb. Du schaust mir in die Augen und während sich unsere Blicke treffen, hämmert ein Buntspecht direkt über unseren Köpfen. Wir beobachten ihn und dann machen wir uns auf. Wandern zurück in ein warmes Zuhause. Zurück in die bequeme Deckenburg, die wir uns gegen die Kälte errichtet haben. Du wirst dich nah an mich legen, deinen Kopf auf mein Knie betten, tief seufzen und dann einschlafen. Vom kleinen Leben im Blätterdschungel träumen. Deine Pfoten werden zucken weil du sie im Traum jagst, während ich denke dass der Winter kommt. Schon bald.

© Sybille Lengauer

Donnerstag, 17. November 2011

Lass uns...


Lass uns ein bisschen übers Leben reden, wenn sich Gefühle regen und die Gedanken aus dem Dunkel hin zum Licht bewegen. Wenn die Haut sich kräuselt,  wenn das Fleisch sich windet. Wenn das Gehirn, ganz zaghaft tastend, Antwort findet. Wenn man das Ungedachte sucht mit scheuem Blick und plötzlich schreckensbleich erkennt, es starrt zurück.  

Lass uns ein bisschen fragen wie man sich wohl fühlt, wenn man den Schlaf erkennt, der jede Regung lähmt, der Menschen fügsam macht und selbst das freie Atmen hemmt.  Wenn man bemerkt, dass man nicht ist was man an anderen vermisst. Wenn die Erde bebt, sich der Vorhang hebt und das was auf der Bühne klebt ist nichts als Blut.

Lass uns ein bisschen raten ob man es goutiert, wenn sich das Leben langsam auseinanderschmiert und nicht ein Funke ungeniert mit redlich‘ Weisheit scheint verziert. Wenn sich die Taten rächen und von Selbstzweck sprechen, wenn Träume seifenblasengleich in tausend Stücke brechen. Weil man erkennt, dass man nicht ist was man bei anderen vermisst. Wenn man im Unbekannten wühlt nach etwas Glück und schließlich einsieht: es ist wie ein schlechter Fick. 

Lass uns ein bisschen übers Hoffen reden, wenn sich die Augen heben und sich die Stimmen aus dem Kopf direkt ins Herz begeben. Wenn die Zunge plötzlich durch die Lippen sticht und man die Worte spricht, durch die man Regeln bricht. Wenn man die Fäuste hebt, wenn der Körper bebt und das was an den Fingern klebt ist nichts als Wut.

© Sybille Lengauer




The Awakening

Let’s talk about life: when the feelings stir,
when the thoughts move to light from the darkest blur.
When the skin curls, when the flesh winds,
when the mind, groping shyly, an answer finds.
When you seek the unthought with bashful eyes
and, pale with fright, its staring-back realize.
Let’s ask ourselves how we can feel good
when we see that sleep cripples every flow,
makes people tame, makes the breath go slow.
When you see you’re not like this
what in others you miss
When the earth quakes,
the appearance breaks,
and what sticks to the fakes
is only blood.
Let’s have a guess if you were appreciating
life slowly disintegrating
and plenty of wisdom is decorating
every single spark inflating.
When deeds take their toll,
in self purpose they loll,
and when dreams burst like bubbles of Rock’n’Roll.
Because you see you’re not like this
what in others you miss.
When you grub in the unknown for a little bit of luck
and, when you find it, it’s just a boring fuck.
Let’s talk about hope, when you raise your eye
and the voices from your head to your heart do fly.
When your tongue pierces through your lips so you’ll
utter words so cruel
to break the rules.
When you raise your fists,
when your body twists,
and what sticks to your wrists
is only anger.

 translated by Ní Gudix,  © Sybille Lengauer


Ein Tag am Meer



Kalt ist es hier. Nass auch. Um mich herum weißes Rauschen. Wasser im Mund, im Hals, im Magen. Wasser bald auch in meiner Lunge und wo ist eigentlich dieses verdammte Rettungsboot, das längst neben mir schwimmen müsste? Wütend bin ich. Verängstigt aber auch. Über meinem Kopf schlagen die Wellen zusammen und ich schlucke noch mehr Wasser. Meerwasser. Ich könnte jetzt Schwimmhäute gebrauchen.  Irgendwo muss doch jemand sein, der bemerkt dass mir hier gerade die Luft ausgeht. Rettungsschwimmer, wo bist du, wenn man dich braucht? Vögelst du gerade in einer Umkleidekabine, während ich hier ertrinke? Ja ich ertrinke, verdammt nochmal und warum hört mich eigentlich keiner?

Panik, jetzt ist sie da. Fließt wie eine zweite Welle über mich hinweg und ich merke, wie meine Muskeln krampfen. Meine Augen quellen aus den Höhlen und ich strample in diesem beschissenen Wasser, platsche Hilflos über einer gähnenden Untiefe, die mich nach unten zieht. Immer weiter nach unten. Die Wellen schlagen über meinem Kopf zusammen und ich höre eine Möwe über mir kreischen. Unter mir schwimmen silberne Fische und wahrscheinlich freuen sie sich darauf, mein Gesicht zu fressen, wenn ich endlich ersoffen und aufgeweicht mit dem Bauch nach unten durch ihre Welt treibe.

Kalt ist es hier und um mich herum wird das Rauschen immer lauter. Wasser in meiner Nase, in meiner Luftröhre. Ich huste und pruste und denke an den idiotischen Wolf, der versucht hat das Steinhaus des dritten Schweinchens umzublasen, bis er explodiert ist. Bald explodiere ich auch, zumindest innerlich. Wenn meine Lungenbläschen platzen, während das letzte bisschen Leben aus meiner Harnröhre schießt und sich mit dem Salzwasser vermischt, das nun wirklich jede meiner Körperöffnungen ausfüllt und warum zur Hölle wollte ich in dieses verfluchte Wasser springen und bis zur Unendlichkeit schwimmen, wenn ich doch ganz genau wusste, dass ich kaum schwimmen kann?

Langsam geht mir wirklich die Kraft aus und Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann schick mir jetzt jemanden der mich hier herausholt! Lass nicht zu, dass ich hier derart erbärmlich krepiere. Ja ich weiß, ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber jetzt ehrlich, so unter uns beiden, Glaube ist doch keine Vereinssache, oder? Bitte!

Die letzte Welle war eine zuviel, jetzt gehe ich endgültig unter. Über mir verschwimmt der Himmel. Ich höre nichts mehr, sehe nichts mehr und mein Ich verkümmert zu einem kleinen Punkt in der Mitte meines Körpers. Der Rest ist erbärmlicher Schmerz, ein gewaltiges Zucken und sich Winden, das nicht aufhören will, während ich immer tiefer sinke. Ich reiße die Augen auf und sehe eine silberne Wolke vor meinem Gesicht aufsteigen. Mein letzter Atemzug, der an die Oberfläche steigt. Es wird dunkel. Ich sehe mein Leben an mir vorbeitreiben und es ist fürchterlich. Es ist unfertig, lückenhaft und voller Fehler, wie die erste Häkelarbeit eines Kleinkindes. „Ich war noch nicht fertig!“ schreie ich durch das verfluchte Wasser nach oben und ich frage mich, ob das irgendwen interessiert. Dann denke ich nichts mehr. Ein letztes Zucken, als meine Lungen verzweifelt versuchen das Meer einzuatmen. Ein letztes Krampfen, als mein Körper aufgibt. Mach’s gut, liebe Welt, ich war noch nicht fertig mit dir, aber das muss jetzt jemand anderes übernehmen. Mach’s gut, liebe Welt, so lieb warst du gar nicht, aber doch irgendwie geil. Mach’s gut und wenn du mich vermisst, du weißt ja, wo du mich findest…

© Sybille Lengauer


Da ist plötzlich so ein Geräusch...


Da ist plötzlich so ein Geräusch. So ein kleines Geräusch, das mitten hineinschlägt in die widerliche Fresse dieser Stille. Dieser unsäglichen Stille, die sich zwischen uns ausbreitet wie die schiere Pest. Eine widerliche Pest verletzter Gefühle, die uns versichert, dass wir uns egal sind. Dass wir uns scheißegal sind und ein „du und ich“ uns sowieso nicht mehr interessiert. Uns nicht mehr im Geringsten interessieren würde, selbst wenn der andere in Flammen stünde.

In Flammen stünden wir tatsächlich, hätten wir ein wenig aufgepasst. Ein wenig auf uns aufgepasst und auf das, was wir zu sagen hatten. Bis wir nichts mehr zu sagen hatten und dann plötzlich wieder dieses Geräusch. Dieses kleine Geräusch wie von einem brechenden Herzen. Einem profan brechenden Herzen, das mitten hineinschlägt in die ekelhafte Fresse des Stolzes. Diese grinsende Fresse falschen Stolzes und beiläufiger Freundlichkeit, die uns die letzten Monate gekostet hat.

Die uns alles gekostet hat und ich schaue dich an und du schaust zurück und wessen Herz das jetzt genau war, das weiß keiner so genau. Aber so ganz genau interessiert uns das auch nicht mehr, immerhin ist der Zug ja abgefahren. Und hey, abgefahren wie dir jetzt plötzlich Tränen aus den Augen kullern und aus meinen Augen läuft auch so ein Zeug, so ein feuchtes, so ein warmes, dieses Zeug eben. Dieses Scheißzeug eben, das schon viel früher hätte laufen sollen, als es noch nicht zu spät war. Aber jetzt ist es eben zu spät und plötzlich ist es da wieder.

Plötzlich ist da wieder so ein Geräusch. So ein kleines Geräusch das mitten hineinschlägt in die ekelhafte Fresse unserer Sehnsucht. Unserer unvorstellbaren Sehnsucht, die sich jetzt zwischen uns ausbreitet wie die Krätze. Diese feiste Krätze unausgesprochener Träume, die uns immer noch trennt, selbst jetzt wo wir hier zusammenstehen wie begossene Pudel und anfangen zu Heulen. Heulen und Zähneklappern, als peinlicher Rest der uns bleibt und dann nichts mehr. Nichts mehr außer zwei gebrochenen Herzen, deren kläglicher Rest irgendwann aus unserer Haut eitern wird. Eine schwärende, eiternde Wunde, die sich nur noch um sich selbst dreht.

Also dreh dich nicht um aber geh. Geh rückwärts aus dem Raum, damit ich dir beim Gehen in die Augen sehen kann. Damit ich noch einmal sehen kann, warum ich mal ganz verträumt war, wenn du bei der Tür hereingekommen bist. Wenn du hereingekommen bist und ich dachte: Sind wir füreinander bestimmt, für immer vielleicht? Und vielleicht kommt dann noch so ein kleines Geräusch. So ein klitzekleines Scheißgeräusch von mir, wenn ich flüstere, dass ich dich liebe. Dass ich dich verdammt nochmal liebe und du jetzt trotzdem gehen sollst. Dass du so schnell du kannst gehen sollst und bitte, komm nicht mehr wieder. Und wiederum denke ich insgeheim, du schlägst genau dann hinein. Schlägst mitten hinein in die eiskalte Fresse meiner hochnäsigen Sturheit und bleibst.

Bleibst bei mir und holst mich heraus aus diesem grauenhaften Kreislauf. Reißt mich fort von dem Fiasko. Nimmst mich mit auf eine neue Ebene. Lässt mit mir alles hinter dir und RAUS hier!!! Wir brechen die alten Normen auf, wir bezwingen unsere Eitelkeiten und beginnen neu. Ab hier ist alles offen! Wir sind frei!
Plötzlich ist da so ein Geräusch. So ein kleines Geräusch, das mitten hineinschlägt in die lächerliche Fresse der Hoffnung. Dieser letzten, unerfüllten Hoffnung meiner Gefühle. Meiner zerplatzenden Gefühle, die sich peinlich anfühlen, als du die Tür zuziehst und es klickt. Es zum letzten Mal klickt und Ende, das war’s.

© Sybille Lengauer